Am Ufer der Disko-Bucht
Ilulissat (dänisch: Jakobshavn) ist mit knapp 5.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Grönlands. Die Kommune liegt in Westgrönland am Ostufer der Disko-Bucht. Der berühmte lulissat-Eisfjord ist ein UNESCO-Weltnaturerbe. Bekanntester Einwohner Ilulissats war der Polarforscher Knud Rasmussen, der in vielen Expeditionen die Arktis erkundete und für den Zusammenhalt und ein neues Selbstbewusstsein der Inuit eintrat. Am 16. August 2007 besuchte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit dem dänischen Staatsminister Anders Fogh Rasmussen den Ort, um die Klimaerwärmung und das Abschmelzen des Grönlandeises zu thematisieren.
Die Stadt selbst liegt rund zwei Kilometer nördlich von der Mündung des Ilulissat-Eisfjords. An seinem Ursprung befindet sich der Jakobshavn Isbrae, der schnellste Gletscher der Welt. Täglich schiebt er sich bis zu 22 Meter nach Westen. Dabei brechen riesige Eisberge ab, die mehrere Kilometer lang und bis zu 1.000 Meter hoch sein können. Sie ragen bis zu 150 Meter aus dem Wasser. Mit dem Tidenstrom schwimmen sie im Fjord hin und her, bis sie über die Isfjeldsbanken, eine Untiefe von etwas mehr als 200 Meter, geschoben werden. Größere Eisberge stranden und zerbrechen dort. Im Westen liegt die Disko-Bucht mit der Disko-Insel.
Treibende Eisberge
Der Ilulissat-Eisfjord hat eine Länge von vielen Kilometern und wird an einigen Stellen bis zu sieben Kilometer breit. Die Wassertiefe liegt im Fjordinneren bei mehr als 1.000 Metern, an der Mündung des Flusses beträgt sie aber nur etwas mehr als 200 Meter. Diese Fjordschwelle ist dafür verantwortlich, dass die gewaltigen Eisberge regelrecht auf Grund laufen und ein Stau aus Eisbergen entsteht. Erst wenn der Druck der nachrückenden Eismassen zu groß wird oder die Eisberge so weit zerbrochen sind, dass sie die Schwelle schwimmend überwinden können, gelangt das Eis ins freie Meer. Die Eisberge treiben dann meist aus der Diskobucht hinaus nach Norden in die Baffinbucht und dann wieder Richtung Süden bis etwa auf die Höhe von New York.
Die Eismassen stammen vom Gletscher Sermeq Kujalleq. Mit einer Geschwindigkeit von mehr als 20 Metern am Tag schiebt der sich Richtung Meer. Der Gletscher hat seinen Ursprung rund 600 Kilometer vom Fjord entfernt im zentralen Inlandeis. Im Schnitt brechen pro Tag etwa 20 Millionen Tonnen Eis vom Gletscher ab. Die größten Stücke sind über 1.000 Meter dick und über eine Million Tonnen schwer. Es dauert über ein Jahr, bis das abgebrochene Eis die Fjordmündung erreicht. Berechnungen haben ergeben, dass der Sermeq Kujalleq mehr als fünf Prozent der Wassermenge abgibt, die von Grönland pro Jahr insgesamt ins Meer fließt.
Ausflug in den Eisfjord
Vom Eisfjord haben die meisten Grönland-Reisenden schon vor ihrer Kreuzfahrt etwas gehört – und das klingt spannend. Deswegen hatten wir für diese Zeit in Ilulissat gleich zwei Ausflüge gebucht, nämlich eine Wanderung zum Eisfjord und nach Sermermiut sowie eine Bootsfahrt zum Eisfjord. Die Wanderung wurde aus Witterungsgründen abgesagt, die Bootsfahrt aber gab es. Und an der nahmen praktisch alle Passagiere teil, die natürlich nicht alle gleichzeitig aufbrechen konnten. Fünf kleine Boote mit einheimischen Skippern, die mehr Fischer- denn Ausflugsbooten ähnelten, nahmen nach und nach die Ausflugswilligen auf und machten sich auf die rund eineinhalbstündige Fahrt.
Schon von Bord des Kreuzfahrtschiffes aus waren die riesigen Eisberge zu sehen, aber was dann auf die Ausflügler wartete, stellte alles zuvor Gesehene in den Schatten. Das kleine Boot mit knapp 20 Reisenden an Bord machte sich am frühen Morgen auf den Weg – direkt in die Richtung des Eisfjordes, direkt dorthin, wo die Eisberge die Schwelle überwinden und ins offene Meer treiben. Das Licht verändert sich ständig – schon das ist enorm faszinierend. Und dann all diese Eisberge, zwischen denen das kleine Boot bald kurvt: Das Kreuzfahrtschiff im Rücken wirkte winzig, und bald waren nur noch Wasser und Eis zu sehen. Berge mit phantastischen Formen, mal rund, mal zackig, mal schneeweiß, mal bräunlich gestreift, mal enorm hoch, dann wieder sehr lang und breit. Alle, die dabei waren, konnten sich an diesen Riesen einfach nicht satt sehen, wobei es natürlich besonders schöne Fotomotive gab, wenn ein anderes der Ausflugsboote vermeintlich einsam vor einem der Eisberge kreuzte.
Faszinierendes Eis
Ja, all das Eis mit seinen bizarren Formen und Verformungen ist faszinierend. Aber es gibt womöglich noch eine weitere Steigerung, denn oftmals ist der Rücken eines Wals zu entdecken, dann seine Schwanzflosse. Das Tier bläst nur wenige Meter vom Boot entfernt seine Fontäne in die Luft, taucht ab und nach einer Weile an einer Stelle wieder auf, wo es ganz und gar nicht vermutet wird. Wir sahen bei unserer Tour gleich mehrere Wale. Die Skipper versuchten, den Tieren so nahe wie möglich zu kommen, ohne sie allerdings zu verschrecken oder gar zu verjagen. Für all die Vögel, die auf den Eisbergen landeten, habtten die Besucher keine Augen mehr – das Schauspiel der Wale vor den weißen Riesen war einfach zu faszinierend. Und natürlich klickten die Verschlüsse der Foto-Kameras ohne Ende. Dank der Meeres-Säuger und dem Verständnis der Skipper der Ausflugsboote ist manche Gruppe länger unterwegs als geplant und genießt diesen Ausfug derart, dass alle sich später sicher sind, er sei das investierte Geld wert gewesen.
Die Natur im Fokus
Der Mensch fühlt sich im Schatten der weißen Riesen ganz, ganz klein. Alle Reisenden genießen die Natur, das Wasser, das Eis, die Wale. Aber: Genau so wichtig ist es auch, an Bord des Kreuzfahrtschiffes Informationen über all das zu bekommen, was da zu sehen ist. Ein gutes Lektoren-Team versorgt die Wissensdurstigen mit wirklich allem Wissenswerten. Auch der Strom der Eisberge wird erläutert – und erst dadurch wird bewusst, wie das damals, im Jahr 1912, mit der Titanic passieren konnte, denn es waren grönländische Eisberge, die für den Untergang dieses Schiffes sorgten. Und allgemein bekannt sein dürfte, dass nur etwas mehr als zehn Prozent eines Eisberges über der Wasser-Oberfläche zu sehen sind – der Rest befindet sich unter dem Meeresspiegel und kann auch in seiner Breite ganz anders sein als das zu Sehende.
Heutzutage sind die Schiffe dank entsprechender Technik besser vor Eisbergen geschützt als noch vor rund 100 Jahren – komplette Sicherheit aber gibt es nicht, weswegen die Kreuzfahrtschiffe in respektvoller Entfernung zu den Eismassen ankern und so manches Mal wegen des Eisganges auch den Hafen von Ilulissat nicht erreichen. In solchen Fragen hat nur einer an Bord Recht – und das ist der Kapitän, dessen Urteil und Weisungen natürlich auch die Passagiere unterworfen sind. Wer also jemals nach Grönland kommen sollte, der darf auf gar keinen Fall dieses Naturschauspiel verpassen. Es ist der Höhepunkt der Reise, und selbst gut gelungene Fotos geben nicht annähernd das wieder, was das menschliche Auge sehen kann.
Text: Dirk Kröger, Fotos: Claudia Emrich