Juni 17, 2025

Mit dem Frachter nach Norwegen

Frachter nach Norwegen

Juni 17, 2025

Mit dem Frachter nach Norwegen – da ist schon die Anreise spannend. „Zum Elbehafen wollen Sie?“, fragt der Busfahrer in Itzehoe,  „da müssen Sie an der Schleuse in Brunsbüttel aussteigen“. Und ein Radfahrer, der gerade von der Fähre rollt, meint entmutigend: „Da drüben ist tote Hose, kein Bus, kein Taxi, nix!“ Gleich  drückt der Rucksack doppelt schwer beim Gedanken an einen langen Fußmarsch mit Achillessehnen-Zerrung.

Auf der Fähre begrüßen sich zwei kräftige Männer in Overalls mit dem Aufdruck der Schleppreederei Schramm. Die Chance, denn diese Jungs müssten sich auskennen. „Na, dann komm man mit!“ Volltreffer! Unkomplizierte Seeleute: hilfsbereit und direkt. „Du kannst nachher mit uns zum Hafen fahren. Das Schiff kommt erst gegen 20 Uhr rein“, bietet einer der Festmacher an.

In langsamster Fahrt schiebt sich der Bulkcarrier mit dem blauen Rumpf von Cuxhaven her kommend ins Bild. Die weißen Aufbauten werden von der Abendsonne vergoldet. Ein Schlepper hilft achtern mit, das Heck des tief abgeladenen Frachters zu drehen und an die Pier zu drücken. Die Schramm-Festmacher nehmen die schweren Leinen an und zerren eine nach der anderen an Land. Ein Trecker übernimmt sie dann und schleift sie zu den Pollern.

Sekunden später schwebt an einem Stahlseil sirrend ein brusthoher Käfig herab. „Get in with your luggage!“, ruft der Mann. Zweifelnd steht man vor dem kippligen Gerät, schaut nach oben und überlegt, ob das denn gutgeht. Wumms, gelandet! Hilfreiche Hände greifen zu, strahlende Philippino-Gesichter ringsum.

„Welcome on board with FJORDNES family!“ mit meinem Namen lese ich auf einem Plakat an der Wand und bin vollkommen von den Socken: So einen Empfang habe ich noch nie erlebt! Selbst die sonst nicht gerade leisen Festmacher sind sprachlos. „Bon Andales“, stellt sich der Dritte Offizier vor und grinst: „I´ll bring you to he captain.“  Er hängt sich den Rucksack auf den Rücken und bugsiert mich ins Treppenhaus, das frisch gewienert, glänzt und duftet.

Frachter nach Norwegen
So wird der Autor an Bord empfangen.

Blick nach vorn

„Schön, dass Du da bist und willkommen an Bord!“ kommt mir Kapitän Danilo Canteros entgegen. Eine kräftige Umarmung, wir  schauen  uns von oben bis unten an und stellen Veränderungen fest seit unserer letzten gemeinsamen Fahrt vor sieben Jahren auf dem Reederei-Schiff „Splittnes“. Zum Durstlöschen hat der Master drei Flaschen Bier auf den Tisch meiner hellen Kabine gestellt, die zwischen der von Kapitän und Chief und direkt unter der Brücke liegt. Das breite Bett des Schlafraums nebenan, von dem auch Dusche und WC abzweigen, ist schon bezogen. Aus den beiden Fenstern hat man einen direkten Blick voraus. Wie von der Brücke.

Frachter nach Norwegen
Passagierkabine auf der „Fjordnes“.

 

Mit dem Frachter nach Norwegen

Der Seelotse ist an Bord gekommen, die Festmacher stehen bereit. Es kann losgehen. Elbe und Nordsee, spiegelglatt unter blauem Sonnenhimmel, scheinen mit dem Kreuzfahrer-Slogan: „Meer erleben!“ zu werben. Zentimeter um Zentimeter rangiert Kapitän Danilo Canteros den 190 Meter langen und 29 Meter breiten Koloss wie spielerisch mit dem kleinen Yoystick-Hebelchen im Steuerbord-Fahrstand von der Pier ins Fahrwasser der Unterelbe.

Die „Fjordnes“ auf der Elbe.

 

Nach rund 40 Seemeilen kommt der rote Katamaran „Elbe“ in Sicht. Sein kleinerer Bruder „Duhnen“ geht längsseits und übernimmt den Lotsen. Der hat sich vom Kapitän strahlend verabschiedet, weil er mit der „Fjordnes“  und seiner Crew samt Service äußerst zufrieden war: „Ein sympathisches Schiff, auf dem man gern arbeitet!“

Ein Blick auf die Brücke.

 

Ein letztes Winken von unten nach oben und umgekehrt, dann fährt Kapitän Danilo die Umdrehungen der beiden 7250 kW-Hauptmaschinen allmählich hoch. Querab vom roten Felsklotz Helgoland zieht die „Fjordnes“ schon eine scheinbar ins Unendliche reichende schnurgerade weiße Hecksee-Schleppe hinter sich her. Der Generalkurs heißt nur noch Nord: auf zum Boknafjord!

Frachter nach Norwegen
Der Seelotse verabschiedet sich vom Kapitän.

Captain‘s Dinner für alle

Cookie, der Koch Wenceslao Regner, hat ein reichhaltiges Lunch-Büffet mit philippinischer Note aufgebaut: Fisch, Fleisch, Suppe, Salat und Melonenstücke als Nachtisch. Zwei Reistöpfe stehen für die Asiaten, aus denen die 21-köpfige Besatzung komplett besteht, immer bereit. „Good appetite!“ Captain‘ Dinner: hier deftig-kräftig-gutbürgerlich, von jetzt an dreimal täglich. Und alle immer gemeinsam. Da gibt es keinen Unterschied. Die Krönung ist immer der Sonntagslunch mit Steak, Pommes, Salat und Eis.

Koch Wencveslao in der Kombüse.

 

Blick von der Back auf das Deckshaus.

 

Nach dem Essen ist gut ruhen, zumal Wetter  und Bordprogramm jetzt wenig Alternativen bieten. Die Skagerraksee gibt sich ruppig bei NW-Wind, der Schaumköpfe auf die dunkelblaue See tupft. An Bord kursiert der Handy-Film über eine Monsterwelle, die das Reederei-Schwesterschiff  „Stones“ in der winterlichen Nordsee überschüttete. Über 25 Meter hoch und rund hunderttausend Tonnen schwer. Zentimeterdicker Stahl wurde dabei zerfetzt wie Papier. Den 15.000-Euro Schaden belegen erschreckende Bilder. Doch die Nordsee bleibt diesmal weitgehend friedlich.

Die „Queen Mary 2“ passiert

Am Spätnachmittag des nächsten Tages kommt an Steuerbord die norwegische Küste als schmales graues Band in Sicht. Nach 338 Seemeilen seit Elbe I dreht die „Fjordnes“ in den Boknafjord ein. Von der Lotsenstation Kvitsoy schießt von Backbord das Lotsenboot heran, an Steuerbord nähert sich aus Stavanger der Kreuzfahrer „Queen Mary 2“. Kurze Begrüßung und die übliche Frage nach dem Tiefgang. Kapitän und Lotse kennen sich von vielen gemeinsamen Fahrten. „Wir können langsam machen“, informiert ihn Danilo, „weil unser Liegeplatz noch belegt ist“. Die „Queen Mary 2“ passiert mit 18 Knoten majestätisch und wegerechtskorrekt vor dem Steven, während die „Fjordnes“ nur noch dahinschleicht.

Durch das geöffnete Kammerfenster strömt jetzt Waldluft herein: der Duft von Norwegen! Die kahlen Schären weichen allmählich den von Fichten gesäumten Bergrücken, die in der Ferne sogar noch schneebedeckt sind. „Ein ideales Urlaubsgebiet, unsere Ryfylke-Region“, schwärmt der Kapitän, „du kannst hier alles an einem Tag machen: Wandern, Skilaufen und Wassersport betreiben“. Reich sei man hier geworden  durch Erdgasverarbeitung und Aluminiumverhüttung.

Die Ansteuerung von Jelsa im Boknafjord.

 

Nach zweieinhalb Stunden und einem Drehmanöver legt die „Fjordnes“ am Steinbruch von Jelsa an. NORSK STEIN prangt in Riesenlettern an einer Werkshalle, ringsum graue Granitsplitt-Hügel aus dem ältesten Gestein der Welt. 4,5 Milliarden Jahre hat dieser Baltische Schild, aus dem auch Schweden, Finnland und Nord-Russland bestehen, auf dem harten Buckel.

Sein Bergfuß wirkt durch die Sprengungen wie angeknabbert. „Das hat den Besitzer, der das Gelände verpachtet hat, steinreich gemacht“, grinst der Lotse und zeigt in die Runde, „das hier ist der größte Steinbruch Europas“. Gewaltige Radlader, schwer bepackte 60-Tonner mit Riesenreifen, dröhnen am Ufer entlang und schütten immer neue Hügel auf.

Frachter nach Norwegen
Die Luke ist gleich voll.

Getränke gegen Fisch

In Jelsa geht es norwegisch ruhig zu. Es gibt nur zwei Liegeplätze und man hat Zeit. Also fiert Bootsmann Lauro nach dem Mittagessen das Speedboot per Kran zu Wasser. Fünf Mann gehen auf Erkundungstour. In einer Fjordbucht wohnt Oddvar Sildelid mit seiner Frau Ase-Lill. „Den müssen wir unbedingt besuchen“, meint Bootsmann Olimpio und gibt Gas. Bis um die Ecke das Fischerdorf Vatlandsvag mit seinen roten und weißen Holzhäusern auftaucht.

Fahrt im Arbeitsboot an Land mit Bienvenido (l) und Dennis.

 

Auf dem Anlegesteg ein strahlender, braungebrannter Wikinger-Typ: „Ich bin Oddvar“, sagt er nur und führt uns in einen seiner Hafenschuppen. Aus alter Verbundenheit beschenkt er die Crew  mit tiefgefrorenem Fisch. Oddvar, ehemaliger Kapitän und Lotse, ist nicht nur Hobby-Fischer mit eigenem Kutter, sondern auch Vermieter von Ferienhäusern und Angelbooten. „Wir haben überwiegend deutsche Gäste“, freut er sich über die guten Geschäfte und lädt uns auf die Terrasse seines am Berg gelegenen Hauses ein. Ase-Lill, ehemalige Schiffs-Stewardess, hat ihren Mann an Bord kennengelernt. Kaffeegedecke und Kekse sind von ihr schon auf den Tisch gestellt worden.

Frachter nach Norwegen
Vatlandsvag – die Matrosen genießen den idyllischen Ausblick.

 

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Und Tschüss Oddvar in Vatlandsvag.

Seereise beginnt

Zurück am Schiff: Um 19.45 Uhr sind alle Luken dicht. Die beiden Hauptmaschinen lassen den 40.000-Tonner erzittern. 21.00 Uhr: Leinen los und ein! Auslaufen mit Kurs auf Kiel. Rund 520 Seemeilen. Über dem Boknafjord liegt eine mystische Stimmung: granitgraue Wolken, durch die Sonnenstrahlen brechen. Auf den Bergkämmen scheinen Trolle zu tanzen. Wie ein Mittsommernachtsmärchen!

An Back- und Steuerbord zieht die typisch norwegische Urlaubslandschaft vorbei. Rostrote und leuchtend gelbe Holzhäuschen garnieren die Idylle aus Fels-, Wald- und Wasserlandschaft. Dazu passt nicht nur der Name des Schiffes, sondern auch seine kanadische  Schornsteinmarke: CSL und ein rotes Ahornblatt. Steht für die renommierte Canadian Steamship Lines, mit der die Reederei HSH Shipmanagment ein Joint Venture betreibt.

Hier wird noch die untergehende Sonne über den Peildiopter anvisiert.

 

Zweieinhalb Stunden später steigt der Lotse querab Stavanger auf das Versetzboot. „Beginn der Seereise“, sagt Kapitän Danilo zu seinem Dritten, der die Zeit ins Schiffstagebuch einträgt. Der Schärengürtel lockert sich, die „Fjordnes“ schiebt ihre platte Nase durch die stille See. Zwei Mega-Kreuzfahrtschiffe passieren auf Gegenkurs mit Ziel Stavanger. Mit ihrem Massenbetrieb möchte man nicht tauschen, wenn man das Frachtschiff quasi für sich hat. Am nächsten Morgen dröhnt das Nebelhorn seine Weckmelodie: jede Minute einmal lang. Das Vorschiff scheint verschwunden zu sein. Kühles Wasser und warme Luft treffen aufeinander und sorgen für null Sicht. Doch irgendwann setzt sich die Sonne durch.

Bordklima angenehm

Nachmittags ziehen Grilldüfte durchs Deckshaus. Es ist so weit: Das ersehnte Barbecue kann auf dem Achterdeck steigen. Fisch satt samt Muscheln wartet auf die hungrige Crew. Koch Wenceslao hat noch Salate und Obstteller vorbereitet.

Frachter nach Norwegen
Der Grillabend kann losgehen.

 

Die fröhliche Crew um ihren Kapitän Danilo.

 

Die „Fjordnes“ rundet die dänische Nordspitze Kap Skagen und fädelt sich durch den dichten Schiffsverkehr in den Großen Belt – unter der atemberaubenden gleichnamigen Brücke hindurch, über die in luftigen 65 Metern Höhe spielzeugklein LKW und PKW kriechen. Die Insel Langeland begleitet uns an Steuerbord, bis in der Kieler Bucht der Lotse an Bord kommt.

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Stille Nordsee bei sommerlichem Sonnenuntergang.

 

Festgemacht wird im Scheerhafen zwischen Nord-Ostsee-Kanal und Marinebasis Kiel-Wiek. Mibau-Schüttgut-Sattelschlepper stehen schon in den Startlöchern, um den frischen Stoff zu übernehmen. Die knappe Liegezeit von elf Stunden reicht auch zum Einkauf und Beinevertreten. Um Mitternacht heißt es wieder „Klar vorn und achtern!“ Auf nach Norden zur nächsten Splittrunde, die Schiff und Crew dann mit der nächsten vollen Ladung von Jelsa nach Danzig führt.

 

Peer Schmidt-Walther (Text & Fotos)

  

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