Oktober 11, 2025

Kaltes Fieber

Rezension Kaltes Fiber, Arne Dahl, Piper Verlag. Psychologische Tiefe und handwerkliche Präzision, skandinavisch düster

Oktober 11, 2025

Arne Dahl ist einer der bekanntesten schwedischen Krimiautoren der Gegenwart. Mit seinen Serien um die A-Gruppe und die Opcop-Ermittler hat er sich einen Namen als Autor von spannungsgeladenen und vielschichtigen Thrillern gemacht. 2024 rief er mit dem ersten Band „Stummer Schrei“ mit der Ermittlerin Eva Nyman eine neue Reihe ins Leben. Der Nachfolger „Kaltes Fieber“ führt Figuren weiter und vertieft Charaktere.

Die Geschichte beginnt mit einem verstörenden Fund in Stockholm. Auf dem Skinnarviksberg steht eine makellos weiße Statue, die eine Rekonstruktion der antiken Zeus-Statue von Olympia darstellt. Im Inneren: die Leiche eines Mannes. In seinem Mund findet sich eine kryptische Botschaft: „Du weißt, was du getan hast.“ Dieser Mord ist der Auftakt zu einer Serie, bei der die Taten jeweils mit den sieben Weltwundern der Antike in Zusammenhang stehen. Eva Nyman und ihr Team stehen vor der gewaltigen Herausforderung, die Verbindung zwischen den Opfern zu erkennen, die Hintergründe der Taten zu verstehen und den Täter aufzuhalten, bevor alle „Weltwunder“ abgearbeitet sind – denn es ist abzusehen, dass der Serienmörder sich an dieser mythologischen Liste orientiert.

Arne Dahl verwebt in diesem Roman klassische Elemente des Thrillers mit gegenwärtigen Themen. Besonders in den Fokus rückt die Drogenszene, der illegale Handel mit dem extrem gefährlichen Fentanyl. Die Verbindung zwischen den Morden und dem Drogenmilieu erschließt sich erst nach und nach, und dabei wird deutlich, dass es nicht nur um bloße Kriminalität geht, sondern um tiefe moralische Fragen: Wer trägt Verantwortung für die Opfer dieser Epidemie? Was bedeutet Gerechtigkeit, wenn Gesetze an ihre Grenzen stoßen? Der Täter scheint angetrieben von einer persönlichen Rache, einer tief empfundenen Schuld und einer ebenso tiefen Enttäuschung über ein System, das wegschaut.

Eva Nyman steht als Hauptfigur im Mittelpunkt des Romans, ohne dabei zur überhöhten Heldin zu werden. Ihre Führungsrolle verlangt Stärke, doch Dahl zeigt auch ihre Unsicherheit, ihre Zweifel, ihr Ringen um moralisch richtige Entscheidungen. Das macht sie glaubwürdig und menschlich. Ihr Team ist kein anonymes Kollektiv, sondern besteht aus individuellen Figuren mit Eigenheiten, Konflikten, Biografien. Arne Dahl gelingt es, auch diesen Nebenfiguren Tiefe zu verleihen. Durch das Zusammenspiel der Ermittler entsteht ein komplexes Beziehungsgeflecht, das das Tempo der Ermittlung beeinflusst.

Stilistisch bleibt Dahl seiner Linie treu: Eine klare, oft nüchterne Sprache, die durch atmosphärische Dichte und psychologische Genauigkeit überzeugt. Der Ton ist nordisch-kühl, aber nicht gefühllos. Immer wieder blitzen Beobachtungen auf, die beiläufig erscheinen, aber präzise das emotionale Klima einer Szene einfangen. Die Kapitel sind kurz gehalten, oft mit Perspektivwechseln versehen, was dem Roman eine hohe Dynamik verleiht. Besonders gelungen ist die Art, wie Dahl zwischen verschiedenen Erzählebenen wechselt – Täterperspektive, Opfergedanken, Ermittlungsarbeit –, ohne den Leser zu verwirren. Die Übergänge sind geschickt gesetzt, die Spannung wird durch kleine Cliffhanger, falsche Fährten und überraschende Wendungen konsequent aufrechterhalten.

„Kaltes Fieber“ setzt auf eine dramaturgisch durchdachte Steigerung: Vom ersten bizarren Mord über das schrittweise Erkennen eines Musters bis hin zum dramatischen Finale wird die Bedrohung greifbarer, konkreter, dringlicher. Der Aufbau orientiert sich dabei nicht nur an den sieben Weltwundern als äußere Struktur, sondern auch an einer inneren Reise der Ermittler, insbesondere Eva Nymans, die gezwungen ist, sich mit eigenen Versäumnissen, blinden Flecken und moralischen Grauzonen auseinanderzusetzen. Die Frage, wie weit man gehen darf, um Gerechtigkeit herzustellen, zieht sich als roter Faden durch den gesamten Roman. Der Täter ist kein Monster, sondern eine zutiefst verletzte Figur, deren Motivation sich aus realem Schmerz speist. Diese Ambivalenz macht die Auflösung des Falls nicht einfach, sondern schmerzlich, und genau das verleiht dem Buch emotionale Tiefe.

„Kaltes Fieber“ überzeugt durch einen klug konstruierten Plot, atmosphärisch dichte Erzählweise und eine feinfühlige, glaubwürdige Figurenzeichnung. Es ist ein intelligenter, spannender und zugleich nachdenklicher Roman. Für Freunde skandinavischer Kriminalliteratur, die psychologische Tiefe und handwerkliche Präzision schätzen, ist dieses Buch eine klare Empfehlung.

Kaltes Fieber

Arne Dahl

Piper Verlag

Taschenbuch, 416 Seiten, 17 Euro

ISBN: ‎ 978-3492072434

https://www.piper.de/buecher/kaltes-fieber-isbn-978-3-492-07243-4

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