Während einer Segelkreuzfahrt um alle kanarischen Inseln kann man die Unterschiede der Eilande besonders gut erkennen. Doch der Star ist das Schiff, der Dreimaster Sea Cloud Spirit. Ein Schiff, das fast nicht zu Ende gebaut worden wäre.
Das große „Ah“- und „Oh“-Erlebnis kommt bereits am ersten Vormittag an Bord: Gebannt starren die begeisterten Passagiere gen azurblauen Himmel, vor dem 28 knallweiße Segel an drei bis zu 58 Meter hohen Masten den Wind einfangen. 4.100 Quadratmeter Tuch, doppelt so viel wie bei der Gorch Fock, lassen die Sea Cloud Spirit die an den Bug klatschenden Wellen schneiden.

Messing & Teakholz
Eine halbe Stunde zuvor hat die Deckmannschaft das laufende Gut losgemacht und bereitgelegt. Das ganze Tauwerk und Gerätschaften wie messingglänzende Winden schaffen auf den beiden Teakdecks Seefahrer-Atmosphäre. Das von Hand ausgeführte Setzen der Segel ist eine eindrückliche Show, gekrönt vom Aufenternder Deck-Crew, zwei je 25 Meter hohe Wanten hinauf an den drei Masten, gesichert nur durch ein parallellaufendes Seil. In luftiger Höhe steigen die Seeleute wie maritime Seiltänzer auf dünne Fußleinen entlang der Rahen und lösen die Segel. Sobald sie wieder unten sind, werden alle Segel mit Brassen und Winden getrimmt, sodass sich das Schiff ausbalanciert in den Wind legt.
Um dieses Erlebnis bieten zu können, musste die Reederei lange ringen: Ursprünglich sollte der 138 Meter lange Windjammer bereits 2009 fertig werden, doch dann ging die spanische Werft in Konkurs. Erst 2018 gelang es, das halbfertige Schiff aus der Konkursmasse herauszulösen und mit einer ebenfalls in Vigo ansässigen Werft zu Ende zu bauen. Konzept und Design wurden komplett überarbeitet, die Sea Cloud Spiritsollte im Sommer 2020 starten. Doch dann kam COVID-19 mit Ausgangssperren, erst Ende April 2021 wurde der Großsegler schließlich fertig, zwölf Jahre später als geplant. Inzwischen hat er Tausende von Reisende aus aller Welt zu exklusiven Zielen gebracht – und begeistert.

Mit der Sea Cloud Spirit rund um die Kanaren
Die sieben Kanarischen Inseln, alle vulkanischen Ursprungs, werden in Reihenfolge ihrer Entstehung abgefahren, vom 20 Millionen Jahre alten Fuerteventura bis El Hierro, rund eine Million Jahre alt. So können die Passagiere die Unterschiede gut erkennen, je jünger, desto grüner: Fuerteventura lockt mit langen Sandstränden, auf Lanzarote beeindrucken bizarre Lavalandschaften mit Pflanzenfarbtupfern. Gran Canaria ist Familienbadeparadies und Party-Hotspot zugleich, auf Teneriffa wird alles von dem beeindruckenden Vulkankegel Teide überragt. La Palma besitzt mit der Caldera de Taburiente einen Erosionskrater mit 2.000 Meter hohen Wänden. Auf La Gomera lockt das UNESCO-Weltnaturerbe Garajonay mit Lorbeerbäumen, Zedern, Ebenholz sowie Mahagoni und das Biosphärenreservat El Hierro ist mit rund 40 Tauchspots ein Unterwasserparadies.

Windjammer mit viel Komfort
Die Sea Cloud Spirit verbindet das Ambiente historischer Windjammer mit dem Komfort moderner Kreuzfahrt. Die 136 Passagiere haben die Wahl aus vier Kategorien der 69 Außenkabinen und Suiten, darunter zwei Einzelkabinen. Erstmals auf einem Großsegler verfügen 22 Junior- und drei Suiten über Balkone, ein Novum ist auch der Fahrstuhl. Die Ausstattung ist luxuriös: edle Polster, Messinglampen, Segelgemälde, goldfarbenes Waschbecken und Mosaiken im Bad. Die Möbel aus Mahagoni und Wurzelholz entstanden in Handarbeit.

Sea Cloud Spirit: Mehr Platz, mehr Rückzugsorte
Gegenüber den beiden anderen Großseglern der Reederei fällt vor allem das deutlich verbesserte Platzangebot mit mehr Rückzugsmöglichkeiten auf. Auf vier Passagierdecks werden alle Annehmlichkeiten für Kreuzfahrtgäste geboten: Wellness, Fitness, Spa, Friseur, Boutique, eine seitlich an Steuerbord herunterklappbare Badeplattform und eine Lounge im 1920-Jahre-Stil mit Steinway-Flügel. Das Restaurant am Heck bietet einen 180-Grad-Panoramablick, die Bibliothek herrliche Sicht voraus. Tummelplatz tagsüber sind die unter einem Segeldach angelegte Lido Bar sowie das Sonnendeck mit Teak-Liegen und Zweier-Kuschel-Sesseln.
Unter weißen Segeln
Der Motor wird nur selten genutzt, vorgeschrieben ist das beim An- oder Ablegen. Ansonsten werden Segel gesetzt, wann immer es möglich ist, bis zu 12 Knoten schnell wird der Windjammer. Während auf anderen Schiffen Motoren wummern und vibrieren, werden die Passagiere auf der Sea Cloud Spirit vom Rhythmus der Wellen sanft in den Schlaf gewiegt. Es ist genau dieses Erlebnis, dass die Passagiere auch tagsüber suchen:in salzig-frischer Seeluft gemütlich die Wogen abzureiten, entschleunigen, aufs Meer schauen und die Gedanken schweifen lassen.

Das Schiff scheint eine majestätische Gelassenheit zu übertragen, viele Passagiere legen während der Reise ihre anfängliche Unruhe ab und genießen die Langsamkeit. Ein Hingucker ist es sowieso: In jedem Hafen bestaunen Spaziergänger, Skipper und Passagiere anderer Kreuzfahrtschiffe den strahlend weißen Dreimaster, an dessen Bugspriet als Galionsfigur ein goldener Greif fliegt. Die Sea Cloud Spirit weckt Sehnsucht – nach Wind und mehr.
Ingo Thiel
Mehr Infos: www.seacloud.com/de
(Fotos: Ingo Thiel & Sea Cloud Cruises)