Dezember 13, 2025

Er kennt deine Angst

Rezension "Er kennt Deine Angst" von Emily Freud, Piper Verlag. Spannend aufgebauter, atmosphärisch dichter Psychothriller,...

Dezember 13, 2025

„Er kennt deine Angst“ ist ein Psychothriller, der mit psychologischen Themen und einer bedrohlichen Atmosphäre spielt, die den Leser von der ersten Seite an in ihren Bann zieht. Die Handlung wird aus der Perspektive von Lauren erzählt, die mit ihrem neuen Partner Paul und dessen zwei kleinen Kindern einen scheinbar perfekten Neuanfang auf dem Land starten möchte. Das abgelegene Haus im Grünen, umgeben von Wald und Wiesen, erscheint zunächst wie der ersehnte Ruhepol heraus aus dem hektischen Londoner Alltag. Doch sehr schnell kippt diese Idylle: Lauren fühlt sich zunehmend isoliert, Paul wird kontrollierender, und die vermeintliche Familie beginnt sich als trügerisches Gebilde zu entpuppen. Die Sehnsucht nach einem Neuanfang weicht mehr und mehr einer nagenden Ungewissheit darüber, was wirklich hinter Pauls Verhalten und der vermeintlich liebenden Fassade steckt. Je weiter Lauren in die Abgeschiedenheit des Hauses und die Manipulationen ihres Partners gezogen wird, desto mehr verwischen die Grenzen zwischen Realität und Furchteinflößendem.

Was diesen Thriller besonders auszeichnet, ist die Art, wie Freud psychologischen Druck erzeugt und gleichzeitig das Innenleben ihrer Protagonistin offenlegt. Die Geschichte entfaltet sich in einer beklemmenden Atmosphäre, in der der eigene Verstand des Lesers ebenso auf die Probe gestellt wird wie der von Lauren selbst. Die Handlung ist nicht einfach linear, sondern lässt den Leser miträtseln, indem Informationen erst nach und nach enthüllt werden, was die Spannung kontinuierlich steigert. Der Leser verliert sich schnell in der beklemmenden Atmosphäre und rast förmlich durch die Seiten, weil jede neue Wendung oder Enthüllung Fragen aufwirft und den Druck weiter verstärkt.

Emily Freud lebt in London und wirkte als Autorin an mehreren preisgekrönten Fernsehserien mit, bevor sie sich dem Schreiben von Romanen widmete. Dieses Hintergrundwissen über Serien- und Drehbucharbeit spiegelt sich deutlich in der Dramaturgie dieses Romans wider: Die Szenen sind filmisch aufgebaut, die Spannungskurve gut austariert und alle Wendungen sitzen punktgenau. Die Autorin versteht es, eine anhaltende Unruhe zu erzeugen, indem sie einerseits mit alltäglichen Erwartungen an eine familiäre Beziehung spielt und diese andererseits konsequent unterminiert. Die Stimmung entwickelt sich von vorsichtigem Misstrauen zu offener Panik, ohne dabei in Klischees abzurutschen. Die zunehmende Isolation und Verzweiflung von Lauren kann fast spürbar wahrgenommen werden; nicht nur durch die Handlung selbst, sondern durch die präzise sprachliche Darstellung ihrer inneren Verfassung.

Freud schreibt klar, flüssig und mit einer bildhaften Sprache, die dazu beiträgt, dass sich die beklemmende Atmosphäre des abgelegenen Hauses und der inneren Konflikte der Protagonistin intensiv entfaltet. Besonders herausstechend ist dabei die Fähigkeit der Autorin, Gefühle wie Angst, Unsicherheit und langsam steigende Verzweiflung exakt so zu beschreiben, dass eine unheimliche und spannend-düstere Atmosphäre entsteht. Die Kapitel bieten kurze, oft unerwartete Wendungen, was das Tempo hoch hält und den Lesefluss unterstützt.

Was das Buch so eindrucksvoll macht ist vor allem die psychologische Tiefe der Charaktere. Lauren ist keine Heldin, sie ist verletzlich, zweifelnd und oft überfordert von der sich zuspitzenden Situation. Paul wiederum wird zunehmend ambivalent gezeichnet: Er ist charmant, fürsorglich, aber gleichzeitig immer wieder kontrollierend und intransparent. Diese mehrdeutigen Charakterzeichnungen tragen stark dazu bei, dass der Leser im Ungewissen bleibt, wem man trauen kann und wem nicht. Die Kinderfiguren im Roman fungieren weniger als vollständige Charaktere, sondern als Trigger für Laurens inneren Konflikt und die Spannung der Geschichte. Alle Figuren fühlen sich echt an, ihre Motive sind nachvollziehbar, und ihre psychologischen Reaktionen tragen wesentlich zur Intensität der Geschichte bei. Gerade in der Darstellung von Machtverhältnissen innerhalb einer Beziehung und der Manipulation des eigenen Umfelds zeigt Freud ein feines Gespür für Zwischentöne.

Der Spannungsaufbau ist sorgfältig, sodass die Geschichte nicht nur auf eine einzige große Enthüllung hinausläuft, sondern mehrere kleinere Wendepunkte enthält, die immer wieder neue Fragen aufwerfen. „Er kennt deine Angst“ verbindet klassische Thriller-Elemente mit psychologischer Tiefe und zeichnet ein bedrückendes Bild davon, wie Vertrauen in einer Beziehung systematisch erodieren kann. Die Geschichte wirkt nach, weil sie nicht nur das äußere Geschehen erzählt, sondern auch die inneren Abgründe ihrer Figuren auslotet. Die Autorin nutzt die Angst der Hauptperson vor dem Unbekannten, die Angst vor Kontrolle und die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität, um nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

Ein spannend aufgebauter, atmosphärisch dichter Psychothriller, der durch seine Figurenzeichnung, seinen flüssigen Stil und seinen sorgfältig konstruierten Spannungsbogen überzeugt. Emily Freud nutzt hier nicht nur klassische Thriller-Werkzeuge, sondern arbeitet geschickt mit psychologischer Intensität, was den Roman über ein bloßes Krimi-Erlebnis hinaushebt.

Er kennt Deine Angst

Emily Freud

Piper Verlag

Taschenbuch, 432 Seiten, 14 Euro

ISBN: ‎ 978-3492321686

https://www.piper.de/buecher/er-kennt-deine-angst-isbn-978-3-492-32168-6

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