Nobu Shirase, ein kaum bekannter Polarforscher aus Japan, bildet das Herzstück von Adwin de Kluyvers Buch „Niemandsland“. Shirase, der Anfang des 20. Jahrhunderts mit einer kleinen Mannschaft und minimalen Ressourcen versuchte, die Antarktis zu erreichen, ist eine faszinierende Figur der Entdeckungsgeschichte. Seine Expedition, die zeitgleich mit den weltberühmten Unternehmungen von Roald Amundsen und Robert Falcon Scott stattfand, geriet schnell in Vergessenheit. De Kluyver greift diese Geschichte auf und beleuchtet sie mit feinem Gespür für die Tragik und das Heldentum eines Mannes, der gegen alle Widrigkeiten kämpfte, um das scheinbar Unerreichbare zu erreichen.
Von Shirases Erlebnissen ausgehend, entfaltet der Autor eine vielschichtige Erzählung. Historische Expeditionen, moderne Antarktisforschung und persönliche Erlebnisse des Autors verweben sich zu einem facettenreichen Porträt der Antarktis. Dabei webt er geschickt historische Episoden ein. Sie reichen von den Mythen der Maori, die die Antarktis lange vor den europäischen Entdeckern als „weißes Niemandsland“ beschrieben, bis zu einer der ersten Frauen in der Antarktis, Jennie Darlington. Besonders beeindruckend ist die Schilderung von de Kluyvers eigener Reise an Bord des Dreimasters Europa. Als Crewmitglied erlebt er die raue See, die eisige Kälte und die unendliche Weite des südlichen Kontinents aus erster Hand.
Eindrückliche Reflexionen
Das Buch ist aber weit mehr als nur ein Abenteuerbericht. De Kluyver verbindet historische Geschichten wie die von Shirase mit philosophischen und ökologischen Überlegungen. De Kluyvers Beobachtungen sind tiefgründig und regen dazu an, über die ethischen Dimensionen von Forschung und Tourismus in sensiblen Regionen nachzudenken. Er stellt die Frage, was es bedeutet, in einer globalisierten Welt neue Territorien zu „entdecken“, und was von dieser Entdeckermentalität übrigbleibt, wenn es keine unerforschten Orte mehr gibt. Besonders eindrücklich sind seine Reflexionen über den Klimawandel und die Rolle der Antarktis als Symbol für die Zerbrechlichkeit unseres Planeten.
Ort des Staunens
Der Autor beschreibt die Landschaft der Antarktis mit einer solchen Lebendigkeit, dass sie vor den Augen des Lesers lebendig wird. Schroffe Eisberge, die unendlichen Weiten und das faszinierende Spiel des Lichts werden in einer Sprache geschildert, die zugleich präzise und lyrisch ist. Adwin de Kluyver gelingt es, die Antarktis in ihrer ganzen Vielschichtigkeit greifbar zu machen – als Ort des Staunens, der Gefahr, der Zerstörung und der Hoffnung.
Ingo Thiel
Niemandsland
Adwin de Kluyver
mare Verlag
Gebunden, mit Lesebändchen, 400 Seiten, 36 Euro
ISBN: 978-3866487093
Weitere Informationen unter https://www.mare.de/buecher/niemandsland-709?srsltid=AfmBOooNiuq1jJpYt0G9gQ_QJm53Scx-cXjigyNo00cKL_q-JU3YvTcX