In „Atlas der KI“ liefert Kate Crawford eine umfassende Kritik an Künstlicher Intelligenz, die sie nicht nur als technische Innovation, sondern als soziales, ökonomisches und ökologisches Phänomen analysiert. Crawford legt mit vielen Beispielen dar, dass KI-Systeme auf ausbeuterische Arbeitspraktiken, umfangreiche Daten und den Verbrauch natürlicher Ressourcen angewiesen sind. Sie beleuchtet, wie für die Herstellung von KI-Systemen, Batterien und Rechenzentren Rohstoffe wie Lithium benötigt werden, was zu massiven Umweltschäden führt. Zudem verschlingt der Betrieb von Rechenzentren enorme Mengen an Energie, was die Umwelt belastet.
Ein zentraler Punkt in Crawfords Kritik ist, dass KI nicht nur Technologie, sondern auch Macht ist. Sie argumentiert, dass die Entwicklung und der Einsatz von KI vor allem von mächtigen Unternehmen und Regierungen kontrolliert werden, die durch diese Technologien ihre Vorherrschaft ausbauen. KI-Systeme, wie etwa Gesichtserkennung oder predictive policing (Vorhersage von Kriminalitätsschwerpunkten), fördern Überwachung und Ungerechtigkeit, indem sie systemische Vorurteile in den Daten wiederholen und festigen. Diese Technologien treffen häufig marginalisierte Bevölkerungsgruppen härter, indem sie in den Daten verankerte Vorurteile reproduzieren, wie Crawford anhand konkreter Beispiele zeigt.
Kein Fachchinesisch
Crawfords Schreibstil findet eine gute Balance zwischen wissenschaftlicher Tiefe und Lesbarkeit. Sie verwendet keine unnötig komplizierte Fachsprache, sondern baut ihre Argumente in einer klar strukturierten, gut nachvollziehbaren Weise auf. Trotz des technisch anspruchsvollen Inhalts gelingt es ihr, die oft abstrakten Konzepte rund um Künstliche Intelligenz in eine klare, nicht-akademische Sprache zu übersetzen. So wird auch Lesern ohne technisches Vorwissen ein Verständnis für die umfassenden Dimensionen von KI vermittelt.
Philosophische Überlegungen
Allerdings ist das Buch keine oberflächliche Lektüre. Die Autorin kombiniert technische Details mit philosophischen sowie politischen Überlegungen und bleibt dabei stets analytisch, was den Leser zum Nachdenken anregt. Ihre Argumentationen sind schlüssig und prägnant formuliert. „Atlas der KI“ bietet eine tiefgehende, umfassende Analyse der sozialen, ökologischen und politischen Kontexte, in denen diese Technologie, die zunehmend unseren Alltag prägen wird, entsteht und funktioniert. Crawford zeigt, dass KI nicht nur eine technische, sondern vor allem eine ethisch-moralische, politische und auch ökologische Herausforderung darstellt.
Ingo Thiel
Atlas der KI
Kate Crawford
Verlag C.H.Beck
Gebunden, mit Schutzumschlag, 336 Seiten
32 Euro, ISBN: 978-3406823336