November 8, 2025

Grethe und der Deutsche

Rezension "Grethe und der Deutsche", Manfred Ertel, Ellert & Richter. Ein bewegender, klug erzählter Roman

November 8, 2025

„Grethe und der Deutsche“ von Manfred Ertel erzählt die Geschichte einer jungen Dänin, die im Spätsommer 1940 – kurz nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Dänemark – auf den deutschen Marinesoldaten Kurt trifft. In dem Hafenstädtchen Frederikshavn in Nordjütland, geprägt von Licht, Meer und Strand, ist Grethe noch keine achtzehn, voller Lebensfreude und Abenteuersehnsucht. Grethe verliebt sich in den Besatzungssoldaten und daraus wird schnell eine große, aber belastete Liebe, denn nahezu alles spricht gegen ihre Verbindung: die Besatzung, das eigene Land, Vorbehalte in der eigenen Familie, Nachbarn und Freunden sowie die politische Lage. Während der Krieg voranschreitet, trifft das Paar auf einen Weg voller Hindernisse: Grethe muss sich nicht nur gesellschaftlichen Vorurteilen stellen, sondern auch den Willkürhandlungen der Besatzungsmächte und später den Folgen des Krieges. Kurt wird an die Ostfront versetzt, das Paar hört monatelang nichts voneinander, aber die Liebe überdauert auch längere Trennungen.

Manfred Ertel schildert in dem biografisch geprägten Roman nicht nur die Liebesgeschichte, sondern macht Grethes Leben zum Spiegel einer Epoche: Nach dem Krieg verlagert sich die Handlung unter anderem nach Schweden, wo Grethe gegen die Auslieferung von Kurt an die Sowjetunion kämpft. Die Liebenden heiraten kirchlich im Internierungslager, Grete verliert ein Kind und selbst die dänische Staatsbürgerschaft. Doch trotz allem hält sie an ihrer Hoffnung und ihrer großen Liebe fest, und dieses Hoffen wird zur Triebfeder der Erzählung. Ertel zeigt, wie Liebe und Lebensentwurf in den Strudel von Krieg, politischen Interessen und menschlichem Leiden geraten können.

Der Schreibstil von Manfred Ertel ist geprägt von Sachlichkeit und Klarheit, ohne Gefühlskitsch oder übertriebene Romantik. Sein journalistischer Hintergrund, er war viele Jahre als politischer und investigativer Autor beim SPIEGEL tätig, lässt ihn historische und politische Kontexte mit erzählerischer Leichtigkeit verknüpfen. In „Grethe und der Deutsche“ gelingt es ihm, Innenleben und Außenwelt ebenso miteinander zu verweben wie persönliche Gefühle und kollektive Geschichte. Die Sprache ist zugänglich, vermag jedoch Tiefe und Nuancen zu transportieren: Grethes Lebenslust, ihre Wagnisse, ihre Verletzlichkeit bleiben spürbar, ohne dass die Erzählung in Pathos abgleitet. Die atmosphärischen Schilderungen, etwa die dänische Küstenlandschaft, die frühe Besatzungszeit in freundlicher scheinender Ruhe, später die dunkleren Wendungen, wecken beim Leser ein starkes Gefühl für Zeit und Ort.

Ertel verzichtet weitgehend auf literarische Spielereien, sein Fokus liegt auf dem Erzählen, aber gerade diese reduzierte, klare Erzählweise macht das Buch besonders: man fühlt sich mitten in der Geschichte, ohne vom Stil abgelenkt zu werden. Die Figurenzeichnung konzentriert sich auf das Wesentliche: Grethe ist keine glamouröse Heldin, sondern eine junge Frau mit Träumen, die bewusst Risiken für ihre große Liebe eingeht. Kurt wird nicht eindimensional als Besatzer dargestellt, sondern in seiner ganzen Ambivalenz mit seinen Zweifeln gezeigt. Damit gelingt Ertel eine Balance zwischen Nähe und Distanz, emotionaler Beteiligung und historischer Einordnung.

Die Themen des Romans sind vielfältig: Liebe unter extremsten Bedingungen, Besatzung und Moral, Hoffnung und Verlust, Identität und Ausgrenzung. Der Leser begleitet Grethe von der scheinbar friedlichen Anfangsphase über Kriegswirren und Nachkriegsprobleme bis hin zu einem Leben, das von unzähligen Abschieden, Entbehrungen und Kämpfen geprägt ist. Besonders beeindruckend ist, wie Ertel historische Ereignisse wie die Auslieferung deutscher Gefangener durch das neutrale Schweden an die UdSSR in die persönlichen Lebenswege des Paares einbindet.

Der journalistische Blick von Ertel auf Fakten und Hintergründe verleiht dem Roman Gewicht und Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig ist es eine erzählerisch gut lesbare Geschichte. Die Stimmung wechselt glaubwürdig: von der Unbeschwertheit der Jugend über den Schrecken des Krieges bis zum stillen aber beharrlichen Durchsetzungsvermögen einer Frau gegenüber allen Widerständen. Das macht sie zu einer starken Figur, an der man Anteil nimmt.

„Grethe und der Deutsche“ ist ein bewegender, klug erzählter Roman. Manfred Ertel greift zu einer realen Lebensgeschichte und. erzählt sie mit einem klaren, unaufdringlichen Stil. Damit gelingt ihm ein Stück Literatur, das nachklingt, weil es die Frage zurücklässt, wieviel wir bereit sind zu opfern für die Liebe, für Gerechtigkeit, für Hoffnung.

Grethe und der Deutsche

Manfred Ertel

Ellert & Richter

Taschenbuch, 360 Seiten, 19,95 Euro

ISBN: ‎ 978-3831908950

https://www.ellert-richter.de/startseite/

Ihnen hat der Artikel gefallen? Dann jetzt teilen auf Facebook, LinkedIn und X